In den letzten Jahren sehen wir weltweit Massenbewegungen, die sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung richten: die großen Proteste für Frauenrechte in Polen, Spanien, Argentinien und anderen Ländern, die revolutionären Erhebungen im Sudan, die Gelbwestenproteste in Frankreich und die Riesendemos in Hongkong, um nur einige zu nennen. Der Kapitalismus geht, ohne sich wirklich erholt zu haben, auf die nächste Krise zu. Die berechtigte Frage ist daher: Warum ist gerade jetzt der Zeitpunkt, zu dem man ein Buch zu Philosophie veröffentlicht? Welche Relevanz hat eine Ideologiedebatte für den Sozialismus?

Die Antwort ist: eine große. Denn in all diesen Bewegungen wird deutlich, dass sich die Massen auf die Suche nach den richtigen Ideen und Programmen begeben und verschiedene Parteien, AnführerInnen und Konzepte abtesten.

Karl Marx und Friedrich Engels selbst begannen die Entwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus, den wir heute Marxismus nennen, mit einer philosophischen Auseinandersetzung, in der sie sich von den Ideen der Herrschenden und ihrem Einfluss in der jungen Arbeiterbewegung bewusst abgrenzten. So schärften sie die Methode und Analyse, wie die Arbeiterklasse sich befreien kann. Dabei fassten sie ihre Gegner nicht gerade mit Samthandschuhen an, wie die Einleitung von „Die deutsche Ideologie“ von 1846 zeigt, in der sie mit den philosophischen Strömungen, die damals unter Linksintellektuellen en vogue waren, abrechnen:

„Der erste Band dieser Publikation hat den Zweck, diese Schafe, die sich für Wölfe halten und dafür gehalten werden, zu entlarven, zu zeigen, wie sie die Vorstellungen der deutschen Bürger nur philosophisch nachblöken, wie die Prahlereien dieser philosophischen Ausleger nur die Erbärmlichkeit der wirklichen deutschen Zustände widerspiegeln. Sie hat den Zweck, den philosophischen Kampf mit den Schatten der Wirklichkeit, der dem träumerischen und duseligen deutschen Volk zusagt, zu blamieren und um den Kredit zu bringen.“

Seit Karl Marx und Friedrich Engels die Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus entwickelt haben, waren diese ständigen Angriffen ausgesetzt. Denn Ideen, die nachweisen und erklären, wie die Ausgebeuteten und Unterdrückten ihr Joch abwerfen und sich befreien können, stoßen notwendigerweise auf den Widerstand der Herrschenden und ihrer VerteidigerInnen. Es gibt tausende Bücher und Texte, die alle Aspekte des Marxismus – seine Analyse des Kapitalismus, sein Verständnis des Staates, seine historischen Untersuchungen der Klassengesellschaft – diskreditieren sollen.

Angriffe auf den Marxismus oder seine Entstellung unter dem Vorwand ihn „weiterentwickelt“ zu haben, laufen letztendlich immer auf eine Ablehnung seiner philosophischen Grundlage hinaus. Dies nicht ohne Grund: die Anwendung der dialektisch-materialistischen Methode auf unsere Gesellschaft führt schließlich zu dem Schluss, dass man einen konsequenten Klassenkampf zum Sturz des Systems führen muss. Theoretisiert man die Rettung des Kapitalismus auf die eine oder andere Weise, etwa indem man den Klassencharakter und die Funktion des Staates leugnet oder die Art und Weise der Frauenunterdrückung im herrschenden System verschleiert, muss man zwangsläufig den Marxismus und seine Methode ablehnen oder mit ihm brechen. Dies anhand einer Auswahl von prominenten TheoretikerInnen aufzuzeigen und den Marxismus zu verteidigen, ist das Ziel des vorliegenden Sammelbandes.

Denn nicht selten verkleiden sich die Entstellungen oder die offene Ablehnung des Marxismus als progressive, widerständische Ideen, die ausgehend von universitären Debatten auch in der Jugend und Arbeiterbewegung Verwirrung und Unsicherheit stiften, was den KapitalistInnen nur allzu genehm ist.

Das Buch beginnt dabei mit zwei Beiträgen über die Grundlagen der marxistischen Philosophie: einer Einführung in die revolutionäre Philosophie von Alan Woods, sowie einem von der IMT 2018 beschlossenen Dokument über die Verteidigung des Marxismus angesichts diverser akademischer Trends des 20. und 21. Jahrhunderts, vor allem der Identitätspolitik.

Wir behandeln dann chronologisch einige VertreterInnen dieser Ideen, angefangen beim sogenannten „westlichen, undogmatischen Marxismus“ und seinem frühesten Proponenten, Georg Lukács.

Die darauffolgenden Texte über die „Frankfurter Schule“ (hier insbesondere zu Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse) beinhalten neben zwei neueren Aufsätzen von Genossen der IMT auch eine historische Streitschrift von Walter Held, der selbst als Kommunist in den 1930er Jahren Stellung zu Max Horkheimer und dem von ihm geleiteten „Institut für Sozialforschung“ bezog.

Der letzte hier behandelte „westliche Marxist“, der richtigerweise vielmehr der philosophischen Strömung des Strukturalismus als dem Marxismus zugeordnet werden sollte, ist Louis Althusser, welcher mit seinen Ideen über den „ideologischen Staatsapparat“ weite Verbreitung in den Reihen der ReformistInnen erfuhr und auch bekannte Politikwissenschaftler wie Nicos Poulantzas dabei inspirierte, das Staatsverständnis in der Linken zu verdrehen.

Der Poststrukturalismus, der insbesondere ab den 1980er und -90er Jahren in allen Bereichen der Sozial- und Geisteswissenschaften Einzug hielt, wird anhand von zwei beliebten Strömungen, der Intersektionalität und der Queer Theory, abgehandelt. Beide befassen sich insbesondere mit Frauenunterdrückung und der Diskriminierung von sexuellen Minderheiten, sowie (im Falle der Intersektionalität) auch mit Rassismus.

Da es im Rahmen eines Buches unmöglich ist, jede Nuance des entstellten Marxismus oder der vorgeblich widerständischen Ideen des letzten Jahrhunderts zu berücksichtigen, stellt die Auswahl nur einen Ausschnitt dessen dar, was insbesondere im akademischen Umfeld als links und progressiv gehandelt wird. Vieles davon hat jedoch auch Eingang in die Organisationen der Arbeiterbewegung gefunden und sich dort mit dem Reformismus gut ergänzt, vor allem wenn es sich um die Ablehnung des marxistischen Staatsverständnisses und um die Methoden zum Kampf gegen Frauenunterdrückung handelt. Wir hoffen mit diesem Buch einen Beitrag zum Verständnis der marxistischen Philosophie liefern zu können und Revolutionären und Revolutionärinnen dabei zu helfen, die typischen und immer ähnlichen Methoden ihrer Entstellung zu erkennen.

Die Verteidigung des Marxismus ist heute wie zu Marx‘ Lebzeiten eine Aufgabe, der wir uns mit Ernsthaftigkeit widmen. Zur Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung ist es schließlich notwendig, vergangene Lehren und Erkenntnisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Nur so werden wir uns das notwendige theoretische wie praktische, Rüstzeug schmieden, um den Kapitalismus zu überwinden.

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Autor diverse

Bücher

Ideologiekritik: Gegen die akademische Entstellung des Marxismus

16,90 €

Der Vorliegende Sammelband widmet sich zuerst einer gedrängten Darstellung der revolutionären Philosophie des Marxismus, um sie und ihre praktischen Schlussfolgerungen gegen Entstellungen und Angriffe zu verteidigen. Die Kritik behandelt die frühe "Frankfurter Schule", die sogenannten "undogmatischen Marxisten" Georg Lukács und Lous Althusser, sowie die postmodernen Ideen der Identitätspolitik, der "Intersektionalität" und der "Queer Theory".

Auch als e-Book erhältlich.

Taschenbuch, 364 Seiten.
ISBN: 978-3-902988-14-0
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